„Die Turbo-Kuh ist ein Phantom“

Dr. Stefan Rensing ist Mitarbeiter der vit – Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w.V., Verden. Wir sprachen mit ihm über Zuchtziele der Milchviehhaltung.

In der öffentlichen Debatte steht die kurze Nutzungsdauer der Milchkühe in der Kritik. Ist das eine Frage des Managements, der Züchtung oder beides?

Dr. Stefan Rensing: Was ist denn eine kurze oder lange Nutzungsdauer? Und wer legt die Werte fest? Die tatsächliche Nutzungsdauer nimmt entgegen der öffentlichen Wahrnehmung zu. Das zeigen unsere statistischen Daten. Im Übrigen gibt es für Zuchtziele nur zwei Maßstäbe: ökonomische Vorgaben und gesetzliche Regelungen. Entscheidend für die Gewichtung im Zuchtziel ist das Verhältnis der Grenzgewinne bei züchterischer Verbesserung der verschiedenen Merkmale unter durchschnittlichen Betriebsbedingungen.

 

Das mag in der reinen Lehre so stimmen, bringt aber wenig, wenn Schlagworte wie „Turbo-Kuh“ die Erzeuger unter gesellschaftlichen Druck setzen.

Rensing: Das ist mir auch klar, aber deswegen muss man ja nicht den Weg der Wissenschaft verlassen. Es gibt keine negative Korrelation zwischen der Nutzungsdauer und der Milchleistung. Mit anderen Worten: Die Turbo-Kuh ist ein Phantom. Es besteht eine leicht negative Korrelation zwischen Fruchtbarkeit und Milchleistung. Das ist aber ein grundsätzliches natürliches Phänomen aller Säugetiere: Solange ein Tier nicht trächtig ist wird bei Energieknappheit die Fruchtbarkeit hintangestellt. Insofern erscheint die frühere Devise „jedes Jahr ein Kalb“ beim heutigen Milchleistungsniveau überholt. Dies auch deshalb, da jede neue Kalbung zu den risikoreichsten Punkten im Leben einer Kuh gehört.

Damit ist aber noch nicht geklärt, wie sich Zuchtziele und Tierwohl verbinden lassen.

Rensing: Das Problem fängt schon mit der Definition des Maßstabes beziehungsweise der Merkmale für Tierwohl an, Grundvoraussetzung für ihre Berücksichtigung im Zuchtziel. Aber unabhängig davon werden die vorhandenen funktionalen, sprich Gesundheits-Merkmale, ja gleichstark im Zuchtziel berücksichtigt.

Nehmen Sie nur das Beispiel „Holstein-Friesian“: Die Milchleistung ist im Zuchtziel mit 45 Prozent gewichtet. Das ist aus ökonomischer Sicht die „Einnahmenseite“. Die funktionalen Merkmale und deren Gewichtung sind die Ausgabenseite: Für die Nutzungsdauer sind es 20 Prozent, für Fruchtbarkeit 10, Eutergesundheit mit 7 und Kalbeverlauf ist mit 3 Prozent gewichtet, macht zusammen 40 Prozent. Die übrigen 15 Prozent entfallen auf den funktionalen Teil des Exterieurs: Beine und Euter.

Tierwohl in Form von funktionalen, respektive Gesundheits-Merkmalen wird also ökonomisch begründet bereits gleichwichtig im Zuchtziel berücksichtigt. Die Milchrinderzucht arbeitet gerade mit Hochdruck an weiteren Zuchtwerten für direkte Gesundheitsmerkmale wie Mastitis, Stoffwechselstörungen und die wichtigsten Klauenkrankheiten. Sobald diese vorliegen, werden sie entsprechend ihrer ökonomischen Bedeutung im Zuchtziel berücksichtigt.

Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin

Der promovierte Agrarwissenschaftler Dr. Stefan Rensing referiert während der DLG-Unternehmertage am 5. und 6. September 2017 in Würzburg zum Thema „Zuchtziele der Milchviehhaltung auf dem Prüfstand: Wie weiter mit dem Tierwohl?“.

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