Die unheimliche Begegnung der 4. Art

Fotos: coralimages - Fotolia, Winter

Fotos: coralimages – Fotolia, Winter

Prolog
Kinder kennen heute mehr verschiedene Aliens, statt zu wissen, welche Lebewesen auf Feld und Flur ihr Unwesen treiben. Und das hat seinen Preis. Seit Landwirte und Städter Soziale Medien nutzen, blitzt und kracht es zwischen den verschiedenen „Welten“: Wusste vor einiger Zeit die eine Gruppe nicht viel, was die andere über sie denkt, so diskutieren heute beide Gruppen online. Wer Sozialen Medien vorwirft, sie würden die Menschen in Filterblasen mit Gleichgesinnten einkesseln, übersieht, dass diese Medien auch genau das Gegenteil davon tun: Sie bringen unterschiedliche Menschen zusammen, die bisher kaum miteinander kommuniziert hatten.

Landwirte, die auf Facebook & Co aktiv werden, können dabei einiges erleben: Besserwisserei, Unverständnis und manchmal blanker Hass, insbesondere von Tierrechtlern. Möchten sie zeigen, wie sie sich um ihre Tiere kümmern, so werden sie von Tierrechtsaktivisten als Tierquäler oder Schlimmeres beschimpft. Andere wollen in den Kommentaren den Landwirten Ratschläge geben, wie sie doch bitteschön Landwirtschaft betreiben sollen. Und dass sie gefälligst aufhören sollen, die Menschheit mit Pestiziden und Kunstdünger zu vergiften. Man weiß ja Bescheid, hat schließlich Tomaten auf dem Balkon.

Diese „unheimlichen Begegnungen der 4. Art“ haben Landwirte motiviert, sich online zu vernetzen. Gemeinsam versuchen sie die Herausforderungen in der Kommunikation mit Verbrauchern und Aktivisten anzunehmen und der Entfremdung zwischen beiden Welten – meist Stadt und Land – zu entgegnen.

AgChat Conference 2016 in Kansys City

AgChat Conference 2016 in Kansas City

Farmer und Landwirte vernetzt
In den USA wird „Social Media“ schon länger und intensiver genutzt. 2009 schlossen sich einige online aktive Farmer und Farmerinnen zusammen und wollten den Erfahrungsaustausch miteinander verbessern, wie man mit der „unheimlichen Begegnung” mit Verbrauchern und Aktivisten umgeht: Die AgChat Foundation wurde gegründet, um Agrarblogger und auf Sozialen Medien aktive Farmer miteinander im echten Leben zu vernetzen. Die erste Konferenz mit dem Titel „ Agvocacy 2.0 Conference“ fand Ende August 2010 statt. Aus einer Gruppe von rund 10 aktiven Leuten ist inzwischen eine breite Grassrootbewegung geworden. Ihr Motto: „Empowering farmers and ranchers to connect communities through social media platforms.”

Anfang Dezember 2016 nahmen über 170 Landwirte und Landwirtinnen, Foodbloggerinnen sowie Kommunikationsfachleute der US-Agrarbranche an der 7. AgChat Conference in Kansas City teil. Erstmals waren auch Teilnehmer aus Deutschland dabei: Nadine Henke, Tierärztin und Ferkelerzeugerin aus Bruchhausen-Vilsen, Marcus Holtkötter, Schweinehalter und Ackerbauer aus Altenberge, sowie Bernhard Barkmann, Bullenmäster und Schweinehalter aus Messingen und Blogger auf www.blogagrar.de. Und ich.

Die deutschen Teilnehmer stellten fest, dass sie den gleichen Herausforderungen gegenüberstehen wie die US Farmer: Sie sehen, welche Desinformationen Aktivisten im Netz streuen, wie solche bei Verbrauchern und Journalisten Früchte tragen und möchte sich wehren. Online.

Bernhard bloggt aus ähnlichen Gründen über aktuelle agrarpolitische Themen. Nadine und Marcus gründeten dazu zusammen mit Kathrin Seeger, Schweinehalterin aus Hessen, Ende 2014 die Facebookseite “Frag den Landwirt“. Hier in Kansas City treffen sie die Gründerinnen ihres Vorbilds, die US Initiative “Ask the Farmers“. Diese ging im August 2014 online, um Verbrauchern Rede und Antwort zu stehen, wenn es um landwirtschaftliche Themen geht.

Es menschelt
Die Grassrootbewegungen dies- und jenseits des Atlantiks mussten ähnliche Erfahrungen machen – insbesondere gruppendynamischer Natur. Die Vielfalt der Betriebe und landwirtschaftlichen Produktionsweisen macht es manchmal schwierig, mit einer Stimme zu sprechen. Nur in der Diskussion mit Tierrechtlern ziehen konventionelle Landwirte mit Biobauern an einem Strang. Zudem kann das Miteinander durch persönliche Eitelkeiten, wer nun die meisten Follower, die besseren Ideen oder Themen auf seiner Seite publiziert, empfindlich gestört werden.

Auf der AgChat Konferenz gibt es für die Netzwerker Impulse zu vielen Themen und Problemen: Leah Beyer, Foodbloggerin und Frau eines Farmers, rät in der Podiumsdiskussion den Netzlandwirten: „Wir müssen die Reihen geschlossen halten und uns gegenseitig helfen.“ Ihr Credo: „Der Erfolg eines anderen schmälert meinen Erfolg nicht.“
Für Greg Peterson ist der Zwist zwischen Biolandwirtschaft und konventioneller Landwirtschaft sinnlos. Beide Formen könnten viel voneinander lernen und damit auch geschlossener gegenüber den grundsätzlichen Kritikern der Landwirtschaft auftreten, insbesondere Veganern.

Robert Sharkey, Podcaster auf sharkfarmer.libsyn.com, sagt, es gibt kein Monopol auf die beste Art von „Agvocating“*, der Kommunikation von Landwirten mit Verbrauchern. Die Chancen liegen in Vielfalt und Kreativität der verschiedenen Blogs und der kommunikativen Konzepte. Die Netzgemeinde sollte aber trotz aller individuellen Sichtweisen das gemeinsame Ziel immer im Auge behalten: die Stories über die Landwirtschaft nicht ausschließlich andere erzählen zu lassen.

Vance Crowe, „Director of Millenial Engagement“ bei Monsanto, verriet, warum es für Monsanto nicht mehr ausreicht, nur mit ihren Kunden (Landwirten) und ihren Investoren zu kommunizieren: „Es gibt Milliarden von Menschen, denen wir kein Saatgut verkaufen, die aber über Landwirtschaft sprechen und sich darüber Gedanken machen“, sagt er, „und wir müssen auch mit Müttern, der Generation Y und den ‚Foodies‘ unter den Verbrauchern kommunizieren und ihnen zuhören.“ Monsanto hat bei vielen US-Farmern übrigens kein negatives Image.

Die Themen und Fragestellungen vieler Workshops sprechen für sich, wie wichtig heute Kommunikation für die US-Farmer ist – online und im echten Leben:

  • Wie verhalte ich mich auf Facebook & Twitter im Falle eines Störfalls im Betrieb, wie bei der Diskussionen um heiße Themen, wie vor einer Kamera und bei Interviews?
  • Wie finde ich gemeinsame Werte, um im Gespräch mit Verbrauchern eine gemeinsame Basis zu finden?
  • Wie funktioniert gutes Storytelling? Wie mache ich gute Fotos? Wie erstelle ich interessante oder witzige Videos?
  • Wie organisiere ich einen „Farm-to-Table Event“ mit Multiplikatoren, „Influencern“? Dabei verabreden sich Farmer z.B. mit Food-Bloggern, Ernährungsberatern oder Journalisten zum Essen auf ihrer Farm.

Ein Mashup einiger Workshops und Diskussionen gibt es hier im Video:

Vorbild Amerika
Wie in vielen Dingen sind die Farmer jenseits des Atlantiks den deutschen Landwirten in der betrieblichen Kommunikation im Internet voraus. Zwar scheinen die US-Farmer noch nicht so stark unter dem Druck von Kampagnen der Nichtregierungsorganisationen zu stehen – sie spüren aber auch die kommunikative Kluft zwischen Stadt und Land, besonders über die Kommentare auf ihren Blogs und Facebook-Seiten. Und sie gehen das Thema Online-Kommunikation sehr systematisch und professionell an. Denn dieser Erfahrungsaustausch auf einer Fachtagung wie der AgChat Conference trägt seine Früchte: Mehr Vernetzung der Agrarblogger untereinander, verbesserte Kommunikation auf Sozialen Medien, mehr Zusammenhalt in der Branche.

Fazit
Auch in den USA stellen sich für die Agrarbranche Fragen, wie man der Entfremdung von Stadt und Land entgegen wirken kann. Sind die kritischen Diskussionen Einzelner schon ein Anzeichen eines gesellschaftlichen Wertewandels? Wie kann man diesen im Internet positiv begleiten oder beeinflussen? Eine Branchenkommunikation, die durch viele authentische Akteure im Internet unterstützt wird, sollte auch die laufenden Veränderungen in der Landwirtschaft der Stadt nahebringen. Der technische Fortschritt kann immer wieder neue Geschichten erzählen, aber auch Rituale in der Bioproduktion sind manche Story wert.
Die Meinungsbildung vieler Menschen verlagert sich immer mehr ins Internet – und wer dort nicht präsent ist und eine passende Kommunikationsstrategie hat, der hat das Nachsehen. Im Dialog heißt das Erfolgsrezept: erst richtig zuhören, nachfragen und mit Empathie antworten. Das schafft Vertrauen.

Am 16.-17. Februar 2017 wird es ein erstes Agrar-Blogger-Camp in Münster, Westfalen, geben. Für Landwirtinnen und Landwirte, die online aktiv sind, bietet diese Veranstaltung die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und fachlichen Input. Auch US-Farmer und Videoblogger Derek Klingenberg wird dabei sein. Wer bloggt oder eine Facebook-Seite zu seinem Betrieb pflegt oder in Sozialen Medien an Diskussionen über Landwirtschaft teilnimmt, sollte diese Gelegenheit nutzen. Weitere Informationen und Anmeldung gibt es unter www.agrar-blogger-camp.de .

 

* Das Kunstwort „Agvocating“, Kurzform für „advocating for agriculture“ umschreibt die Kommunikationsaktivitäten für Landwirtschaft
** Moms, millenials and food-minded People

Ausgewählte Tweets:

3 Gedanken zu „Die unheimliche Begegnung der 4. Art

  1. bernhardbarkmann

    Hallo Rainer,
    vielen Dank für diesen guten und treffenden Bericht von der Konferenz in KansasCity. Ich bin sicher, dass wir einige Impulse auch auf unserer Wirken hier in Deutschland mitnehmen können.
    Ich freue mich schon auf das erste Bloggertreffen in Münster- da werde ich selbstverständlich auch dabei sein und gerne auch von den Erfahrungen und Erkenntnissen in den USA berichten.

    Antworten
  2. Pingback: [Agrar-Blogger] Die unheimliche Begegnung der 4. Art

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