Was heißt „Nachhaltige Landwirtschaft“?

Was bedeutet „Nachhaltige Landwirtschaft“, insbesondere in Deutschland? Vor über 200 Agrarjournalisten aus 36 Ländern zeigte eine Podiumsdiskussion im Rahmen des IFAJ-Kongresses Mitte Juli 2016, dass das Thema Nachhaltigkeit viele Facetten hat, darin waren sich die Podiumsteilnehmer einig.

Über die inhaltliche Ausgestaltung und praktische Umsetzung bleibt wegen fehlender gemeinsamer Zieldefinitionen und einer sehr kontroversen Beschreibung des Ist-Zustandes aber noch erheblicher Diskussionsbedarf, siehe folgendes Video.

Teilnehmer: Dr. Robert Kloos, ehem. Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Dr. Helmut Schramm, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland GmbH, Dr. Felix Prinz zu Löwenstein (BÖLW), Hubertus Paetow, Vize-Präsident der DLG, Prof. Dr. Ralf Pude, Universität Bonn und Hanka Mittelstädt, Landwirtin aus Brandenburg.

Wie definieren die Diskutanten „Nachhaltige Landwirtschaft“?

Hanka Mittelstädt, Landwirtin in der Uckermark (Brandenburg), Vorstandsmitglied Landfrauenverband Brandenburg e.V.

„Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung – schon bei den Bauer in der Antike eine Selbstverständlichkeit, um das Überleben der Angehörigen durch die Produktion von Lebensmitteln zu sichern. Nachhaltigkeit bedeutet für mich, die Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit – den Zugang zu Lebensmitteln- bei gleichzeitiger Ressourcenschonung zu sichern. Eine Senkung des stetigen Flächenverbrauches ist dafür eine Grundvoraussetzung. Darüber hinaus muss durch Investition in Forschung und Entwicklung die Effizienz der Landwirtschaftlichen Produktion gesteigert und die Einkommen der Landwirte im ländlichen Raum gesichert werden. Dabei ist die Intensivierung der Landwirtschaft nicht gleichbedeutend mit steigender Umweltbelastung. Eine kurzfristige Gewinnmaximierung auf Kosten der nachfolgenden Generation ist für mich nicht mit dem Urprinzip der Landwirtschaft vereinbar.“

Hubertus Paetow, Landwirt in Finkenthal-Schlutow (Mecklenburg-Vorpommern), Vizepräsident der DLG e.V.

“Innovation und Fortschritt sind die Basis für eine Landwirtschaft, die zugleich wettbewerbsfähig und nachhaltig ist. Nachhaltigkeit als Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung setzt nicht nur voraus, immer wieder einen kritischen Blick auf das eigene Handeln zu werfen. Nachhaltig wirtschaften heißt auch, gesellschaftliche Anforderungen an das eigene Tun ernst zu nehmen. Ebenso steht die Gesellschaft vor der Herausforderung, ihre Verantwortung gegenüber dem landwirtschaftlichen Unternehmer wahrzunehmen.
Die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) hat einen Nachhaltigkeitsstandard zusammen mit wissenschaftlichen Partnern entwickelt. Der DLG-Nachhaltigkeitsstandard ermöglicht Nachhaltigkeit auf der Grundlage der ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte objektiv zu gemessen. Der Landwirt kann seinen Betrieb in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung objektiv bewerten lassen und das an seine Kunden, Verbrauchern und Nachbarn vor Ort kommunizieren und Verbesserungen umsetzen.“

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW)

“Wir sollten so Landwirtschaft betreiben und Lebensmittel erzeugen, dass wir auch in den nächsten 10.000 Jahren dazu in der Lage sind. Das bedeutet, wir müssen aufhören, unsere erschöpflichen Ressourcen wie Phosphat oder fossile Energien zu nutzen, Biodiversität regenerieren, Bodenfruchtbarkeit erhalten und Nährstoffkreisläufe schließen. Wir sind weit davon entfernt!”

Dr. Helmut Schramm, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland

„Weltweit ist die Landwirtschaft eine der wichtigsten Wachstumsbranchen. Und ihre Bedeutung wird weiter wachsen. Mit nur drei Prozent der Erdoberfläche, die Kulturpflanzen für den Anbau zur Verfügung stehen, müssen wir immer mehr Menschen ernähren, man schätzt bis zum Jahr 2050 bis zu neun Milliarden Menschen. Zusätzlich soll die Landwirtschaft Futter für Tiere erzeugen, sowie nachwachsende Rohstoffe für die Erzeugung von Energie. In Deutschland haben wir beste Bedingungen, um hohe und nachhaltige Erträge zu erzielen. Wir haben ausgezeichnete Böden, qualitativ hochwertige Ressourcen, Maschinen, Pflanzenschutzmittel und Saatgut, gut ausgebildete Landwirte und stabile politische Verhältnisse. Aber wir müssen diese Ressourcen auf nachhaltige Weise entwickeln. Als forschungsorientiertes Unternehmen mit Pflanzenschutzmitteln und Saatgut, sehen wir unsere Rolle, den Bauern bei der Entwicklung von Anbaustrategien zu begleiten, die auch unsere natürlichen Ressourcen schützen. Nachhaltigkeit ist das große Thema der modernen Landwirtschaft, in Deutschland und in der ganzen Welt.“

Dr. Robert Kloos, ehemaliger Staatssekretär im BMEL

„Nachhaltige Landwirtschaft muss im Einklang stehen mit Umweltschutz, mit Klimaschutz. Sie muss aber auch im Einklang stehen mit dem Tierwohl, das für uns in Deutschland, in Europa, einen ganz wichtigen Stellenwert hat. Auch die Biodiversität wollen wir erhalten und vermehren. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es viele Facetten der Nachhaltigkeit gibt, die wir alle bei den wichtigen Entscheidungen mit einbeziehen.“

Prof. Dr. Ralf Pude, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Professur Nachwachsende Rohstoffe (INRES), Campus Klein-Altendorf

„Nachhaltigkeit bedeutet, „effiziente Nachwachsende Rohstoffe und Reststoffe nutzen und dann intelligente biobasierte (Kaskaden-)Produkte entwickeln“

Fazit

Die Diskussion über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zeigte, dass diese Eigenschaft ein wichtiger Bestandteil eines – oft völlig unterschiedlichen – Leitbildes für die Landwirtschaft ist. Jede Form von Landwirtschaft in Deutschland – ob konventionell oder öko – proklamiert für sich, nachhaltig zu wirtschaften.

Der Nachhaltigkeitsbericht 2016 der DLG soll dazu einen fachlichen Diskussionsbeitrag hierzu leisten. Der Bericht umfasst zentrale Kennzahlen (Indikatoren) aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie, soziale und internationale Verantwortung sowie einen aggregierten Nachhaltigkeitsindex Landwirtschaft, der Nachhaltigkeit messbar macht. Der Bericht wird ergänzt durch zehn Beispiele, die Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Betriebe aufzeigen.

Ausblick

Wie sieht es in anderen Ländern aus, was verstehen dort Agrarjournalisten unter „Nachhaltige Landwirtschaft“? Das werden wir in einem nachfolgendem Beitrag zeigen. Man darf gespannt sein.

…und was verstehen Sie, lieber Leser, unter „Nachhaltige Landwirtschaft“ – insbesondere in Deutschland?

P.S.: Eine sehenswerte multimediale Aufbereitung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zum internationalen Kongresses der Agrarjournalisten (IFAJ) und dem Thema Nachhaltigkeit ist hier zu finden:
http://technikjournalismus-hbrs.pageflow.io/ag-reporters

6 Gedanken zu „Was heißt „Nachhaltige Landwirtschaft“?

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  2. Christoph Zimmermann

    Zentraler Bestandteil nachhaltiger Landwirschaft ist der Boden mit seinem Austausch an Luft und Wasser. Bodenkundlich im mineralischen Bereich bestens erforscht bestehen im komplexen biologischen Bereich erhebliche Wissenslücken insbesondere was die Mykologie betrifft. Nachaltige Landwirschaft bedeutet den Humusgehalt im Boden zu steigern und nicht einen Abbau zu betreiben. Bioökonomie profitiert dabei durch wirtschaftliche Rohstoffproduktion und die Luft durch Sequestierung von Co2.
    Eine gezielte Krumenvertiefung von Böden wäre zusätzlich hilfreich. Wir sollten davon lernen, wie unsere Böden in den letzten 6000 bis 9000 entastanden sind und diesen Prozeß weiter fördern

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  3. Hannes

    Den Begriff der nachhaltigen Landwirtschaft bekommt man immer häufiger zu hören und das ist auch gut so. In unserer heutigen Überflussgesellschaft sollten wir uns so langsam wirklich Gedanken um einen verantwortungsvollen Umgang mit allen Ressourcen machen.
    Vielen Dank für den interessanten Artikel.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Hannes von http://www.agrarwelt.com

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  4. Friedrich K.

    Wissenschaftler haben festgestellt, dass Biolandwirtschaft auch nicht viel besser für das Klima snd als die konventionalle Landwirtschaft: http://www.taz.de/Bio-Landwirtschaft-und-Klimaschutz/!5335822/ – Diese Diskussion um Nachhaltigkeit zeigt, dass keine Perfekt ist.

    Die Vertreter beider Fraktionen sollten sich mal beim Gläschen Bier zusammensetzen und alle ideologischen Scheuklappen abnehmen, und sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Lösung machen. Ich habe den Eindruck, das Getöse der Funktionäre (derzeit besonders der Öko-Lobby) dient nur dem Zweck des Ausbaus ihrer Macht.

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  5. Bernhard Hellweg

    Solange mit dem Verkauf der Produkte auch die Pflanzen Nährstoffe Feld und Hof verlassen dann vom Menschen gegessen werden und via Toilettenspülung, Kanalisation, Kläranlage und Klärschlammverbrennung bestenfalls auf die Deponie landen, ist keine Landwirtschaft nachhaltig. Auch in der Biolandwirtschaft werden Pflanzen Nährstoffe mit der Ernte verkauft und müssen irgendwie ersetzt werden.

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  6. Armin

    In Deutschland gibt es eine Unmenge an Förderprogrammen für Energieeffizienz in der Landwirtschaft. Wir sind viel bei Bauern vor Ort und auf Veranstaltungen. Nur zu oft stellen wir fest, dass die Fördermöglichkeiten gar nicht bekannt sind und deshalb Landwirte auf Investitionen in CO2 reduzierende Modernisierungen verzichten. Neben dem positiven Effekt für die Umwelt spart man auch noch im spürbaren Maße Energiekosten ein. Wir haben noch viel Aufklärungsarbeit vor uns.

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