Was Bauern fertig macht

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Von Sören Schewe

„Sie laufen.“ Der mir spontan fehlende Zusammenhang folgte schnell. Bei Wiesenhof wird Geflügel nicht nur gemästet, sondern auch ausgebrütet, nachdem sie von den Elterntieren als Ei gelegt wurden. Dafür sind die Tiere gruppenweise in mehreren Räumen pro Betrieb untergebracht. Für eine gute Tierbetreuung muss der Tierhalter jede Gruppe mehrmals pro Tag kontrollieren. Jede Gruppe. 7 Tage die Woche. Da kommen einige Kilometer zusammen. Gelegentliches Knacken und Knirschen der Gelenke lässt sich da kaum vermeiden.

Wenn man sich jetzt wissenschaftlich mit Tierwohl beschäftigt, kann man sich schnell im Kleinklein verlieren. Allein schon die Frage nach der richtigen Ausgestaltung der Liegeflächen für Milchkühe kann sich schnell zur eigenen Disziplin auswachsen. Dabei sind solche Details beim Streben nach dem größten Komfort fürs Tier fast ohne Belang, wenn wir Hemsworth et al. vertrauen und festhalten, dass eine gute Mensch-Tier-Beziehung auf vielerlei Weise eine essentielle Rolle für das Wohl der Tiere in Betrieb spielt. Ein Beispiel: eine gute Tierbeobachtung in Kombination mit einem vertrauen Verhältnis zwischen Mensch und Tier erlaubt eine frühe Erkennung gesundheitlicher Probleme beim Tier, die es sonst verbergen würde. In meinem Artikel „Der Roboter als Tierhalter der Zukunft“ hatte ich diesen Sachverhalt schon beschrieben und begründet, warum sich an dieser Konstellation auch in Zukunft nicht viel ändern wird.

Genau das kann aber nur funktionieren, wenn Landwirte und Tierhalter körperlich sowie geistig fit sind. In den letzten Wochen fand ich allerdings gleich drei Artikel, die hier Probleme signalisieren. Zum einen wäre da ein Gast-Artikel einer Tierärztin bei Bauer Willi. Sie regt sich – anonym – ziemlich offen über die Empfehlungen von Beratern auf, die fast immer auf eine Vergrößerung des Betriebes hinauslaufen, obwohl die Landwirte schon jetzt gut ausgelastet seien. Zitat:

„Die landwirtschaftlichen Berater machen außerdem häufig den Fehler (soweit ich das in den letzten 25 Jahren beobachtet habe) dass sie mit einer vorgefertigten Meinung auf den Hof kommen. Ein Bauer will bauen? – ganz einfach: mindestens für 120 Kühe, am besten aber größer. Ich habe noch keinen Berater erlebt, der den Landwirt, den er vor sich hat, mal genau angesehen und sich die Frage gestellt hat, ob sein Konzept überhaupt das Richtige für die Person ist, die ihm gegenüber sitzt. Ob er das von der Persönlichkeit und seinem Umfeld überhaupt leisten kann?
(…) Den Landwirten ist mit der Beratung „zu immer mehr, immer größer“ letztendlich auch nicht geholfen. Die arbeiten ja schon fast Tag und Nacht um letztendlich Jahr für Jahr weniger zu verdienen.“

Sogar in der WELT gab es jetzt einen Artikel zu Burnout bei Landwirten. Dort wird die Situation so zusammengefasst:

„In der Regel führten drei Faktoren zum Burn-out, sagt der Experte. Der wirtschaftliche Druck wird demnach für viele Landwirte immer größer. Die Gestaltungsspielräume für die eigene Arbeit sind gering. Und die meisten Landwirte haben einen inneren Antreiber, der sie gefährdet: ihre hohe Arbeitsmoral. Die meisten kennen nichts anderes als zu funktionieren, zu arbeiten und auf die Psyche wenig Rücksicht zu nehmen, wie Krüger sagt. „Das ist deshalb eine Hochrisikogruppe.“

Viele Bauern seien so erzogen worden, dass der Hof wichtiger als die eigenen Bedürfnisse sei, erklärt der Experte. „Ich kenne viele Landwirte, die noch arbeiten, obwohl sie körperlich krank sind, der Hof sich so nicht mehr trägt und die Familie leidet.“ Das Problem bei vielen betroffenen Landwirten sei, dass sie sich nichts anmerken ließen, bis es zu spät sei.
Die Lage derzeit sei schwierig für viele Landwirte, sagt die Sprecherin des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Kirsten Hess. Bei Gesprächen zwischen Verbandsvertretern und Landwirten nehme das Thema Burn-out immer mehr Raum ein. Problematisch seien vor allem die derzeit desaströsen Preise und die öffentlichen Diskussionen über die Qualität landwirtschaftlicher Produkte. Wenn man kein Geld verdiene und dann noch gesagt bekomme, dass das, was man mache, verwerflich sei, überfordere das viele Landwirte.
Friedrichsen sieht es ähnlich:

„Zu der wirtschaftlichen Situation und der wahnsinnigen Flut an Gesetzen, Verordnungen und Auflagen kommt diese unsägliche Diskussion in der Öffentlichkeit.“ Das auszuhalten und immer noch Spaß bei der Arbeit zu haben sei nicht einfach. „Da muss man schon ein sehr starkes Nervenkostüm haben und sehr selbstbewusst sein.“

Die Gründe sind also gleichermaßen simpel wie komplex: Ich kann mir als Landwirt den modernsten Stall mit allen verfügbaren technischen Helferlein bauen, am Ende bin eben immer noch ich derjenige, der jeden Tag im Stall zu sein hat, Entscheidungen treffen und die Tiere betreuen muss. Wenn ich dafür dann in den Medien auf den Deckel bekomme und noch dazu kein Geld sehe, während aus der Politik ständig Forderungen nach Investitionen laut werden, kann es passieren, dass es irgendwann knallt. Aber selbst Landwirte, die investieren möchten, stehen unter Druck, weil ihnen niemand aus Politik oder Wissenschaft genau sagen kann, wohin die Reise in der Nutztierhaltung gehen soll – was ein Problem ist, wenn neue Ställe gerne mal über 20 Jahre bezahlt werden müssen. Eine falsche Entscheidung kann fatale Folgen haben. Das belastet. Professor Dr. Isermeyer vom Thünen Institut hat das als einen Kritik-Punkt in seinem Plädoyer für eine nationale Nutztier-Strategie herausgearbeitet.

Bei Animal Health Online fand ich dann noch die Meldung einer Betriebsauflösung durch das Veterinäramt des Landkreises Gießen. Zitat:

„Die Amtstierärzte hatten bei der Kontrolle des Betriebes 57 Rinder vorgefunden, die keine Möglichkeit hatten, sich im Stall oder Außenbereich trocken abzulegen. Und nicht nur das: Sie standen teilweise bis zu einem halben Meter tief in einer Mischung aus Gülle und Schlamm. Etwa die Hälfte der Rinder waren hochgradig unterernährt und in ihrer körperlichen Entwicklung weit zurück. Zwei Rinder wurden im Verenden vorgefunden und mussten eingeschläfert werden. Auch bei den Schafen gab es massive Mängel beim Ernährungs- und Pflegezustand.“

Womit wir dann doch wieder beim Tierwohl wären, denn bei aller Liebe für Diskussionen um Ausgestaltungen der Ställe oder Besatzdichten ist es die tägliche Routine – auch als Management bezeichnet – die einen sehr großen Einfluss auf die Bedingungen im Stall sowie die Tierbeobachtung hat – und damit entscheidend für die Tiergesundheit ist, welche wiederum der World Organization of Animal Health zufolge einen wichtigen Bestandteil des Tierwohls darstellt.

Leider erfahren wir in der AHO-Meldung nichts über den Zustand des Tierhalters – es wird lediglich erwähnt, dass dieser Betrieb schon seit einigen Jahren Prüfungen durch das Vet-Amt immer nur knapp überstanden hat. Aber irgendwas muss da im Busch gewesen sein, denn selbst wenn wir Aspekte wie Tierschutz, Mensch-Tier-Beziehungen etc. mal außen vor lassen, gibt es immer noch die Ökonomie. Tiere so zu halten ist aber nicht nur tierschutzwidrig, sondern auch völlig unökonomisch.

Bleibt am Ende die Frage wie wir hier Abhilfe schaffen können – körperlich sowie emotional erschöpfte Landwirte kann keiner wollen. 2015 erschienen zum ersten Mal zur Grünen Woche Landwirte mit dem Spruch „Wir machen Euch satt„. Ein zentrales Anliegen dieser Menschen war es, dass an Landwirtschaft Interessierte doch bitte mit ihnen reden sollen statt über sie. Das Portal „Frag den Landwirt“ ist das „Alltags-Pendant“ – gleichermaßen ein Kommunikationskanal wie auch Öffentlichkeitsarbeit. Auch Bauer Willi mischt in dieser Richtung mit. Ich selbst schreibe seit 2009 über Landwirtschaft und habe schon einige davor bewahrt der jeweils aktuellen Sau durchs Dorf hinterher zu jagen. Dialog und Anerkennung können schon viel verändern – zumindest dann, wenn das Arbeitspensum weitgehend gleich bleibt.

Vielleicht beherbergt aber auch Prof. Dr. Isermeyers Idee einer Nutztierstrategie die eine oder andere gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Lösung. Meine Gedanken dazu gibt es im nächsten Artikel.

Quellen: 

Gedanken einer Tierärztin:
http://www.bauerwilli.com/nur-eine-einzelmeinung-gedanken-einer-tieraerztin/

Burnout bei Landwirten in der WELT
http://www.welt.de/vermischtes/article152450760/Jetzt-haben-selbst-die-deutschen-Bauern-Burn-out.html

Bericht über einen Betrieb mit großen Mängeln:
http://www.animal-health-online.de/gross/2016/02/10/katastrophale-verhaeltnisse-veterinaeramt-giessen-beendet-eine-rinder-und-schafhaltung/30736/

Mein Artikel über Roboter als Tierhalter der Zukunft:
http://agrarblogger.de/2015/10/28/der-roboter-als-tierhalter-der-zukunft/

6 Gedanken zu „Was Bauern fertig macht

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  2. Alois Wohlfahrt

    Hallo Sören, vielen Dank für diesen Artikel.
    Es ist wirklich Zeit das Thema „Landwirtswohl“ anzugehen. Aber nicht mit der jahrzehntelangen „Jammerei“, sondern mit dem Bewusstsein, dass hinter der sogenannten Agrarbranche immer Menschen stehen. Menschen mit all ihren Facetten, Bedürfnissen und Gefühlen. Und das ist schon der erste Knackpunkt. Denn Landwirte definieren sich meist mit dem Betrieb oder ihrer Leistung. Wenn ein Landwirt sich vorstellt, dann kommt oft im ersten oder zweiten Satz: „…ich bin Milcherzeuger …“ und dann noch Hektar und Milchleistung usw. Hier liegt die Wurzel der enormen Arbeitsmotivation und Leidensfähigkeit der Landwirte für ihre Betriebe – und dabei vergessen sie liecht die eigenen Bedürfnisse und die der Familie.
    „Nur wenn es mir gut geht, kann ich auch für andere sorgen“, ist ein Standardlehrsatz, der dringend in das Bewusstsein von uns Landwirten eindringen sollte. Wer zu sich selbst steht erkennt seine eigene Verantwortung und Macht auch entsprechend zu handeln. Das Beschuldigen der Politik, Beratung usw. mag zwar kurzfristig der Seele Erleichterung verschaffen, festigt aber im Grunde die eigene Hilflosigkeit und das Selbstwertgefühl geht weiter in den Keller.
    Ob eine so negativ drehende Spirale allein durch medial öffentlich Anerkennung ins Positive gewendet werden sei dahingestellt. Für mich ist es ein Anfang, wenn Landwirte sich öffentlich mitteilen und sich dadurch auch der allgemeinen Diskussion stellen. Das ist die Chance gesellschaftliche Prozesse, wie den Trend zum Tierwohl, auch als Landwirt anzuerkennen. Denn wer selbst anerkennt, der bekommt auch die Anerkennung der anderen. Es kommt also darauf an, im durchaus ergebnisoffenen Diskurs gegenseitig voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu verstehen. Daraus entstehen langfristig Brücken und zukunftsträchtige Wege.
    Alois

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    1. Sören

      Hallo Alois,

      ich halte Anerkennung auch keineswegs für ein Allheilmittel aller Probleme, schließlich lässt sich das Höfesterben – der Strukturwandel – auf diese Weise ganz sicher nicht aufhalten. Es ist eben ein Anfang.

      Es gibt durchaus einen Grund, weshalb ich am Ende des Artikels Isermeyer erwähnt habe. Der hat – zumindest ist er der Ansicht – ein Konzept entwickelt, das zum Beispiel den von Dir genannten Trend zum Tierwohl unter allen Akteuren erörtern soll – bestenfalls mit einem gesellschaftlichen Konsens am Ende.

      Antworten
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