Der Fischgräten-Melkstand wurde 1908 erfunden. Allerdings dauerte es 70 Jahre bis die Mehrheit der britischen Landwirte diese “neue” Technologie auch nutzten. Wissenschaftler der University of Oxford haben in einem Diskussionspapier die Gründe für diese sehr verzögerte Adaption dargestellt . Diese sind aber auch für uns interessant, wenn wir über den hiesigen Strukturwandel in der Landwirtschaft diskutieren. Die Gleichung steigender Konsum = steigende Betriebsgröße (bzw. sinkender Konsum = sinkende Betriebsgröße) war schon immer etwas kurz gesprungen.
Heute käme kein normaler Landwirt mehr auf die Idee, seine Tiere per Hand zu melken. Nicht nur, dass eine Melkanlage schon längst der Normalfall ist – es wird mittlerweile schon direkt über die Installation von Melkrobotern nachgedacht. Das war früher noch anders. Als ersten wichtigen Aspekt für die schleppende Umstellung auf maschinelles Melken in Großbritannien nennen die Wissenschaftler das: Damit werde der gesamte betriebliche Ablauf durcheinander gebracht. Aber wozu? Die Melker waren gut, schnell und kompetent. Zudem waren sie von dieser neuen Technologie nur mittel begeistert und sorgten sich um ihre Arbeitsplätze. Erst als die Löhne stiegen und damit die Anforderungen an Freizeit und Gesundheit, stieg die Akzeptanz. Manuelles Melken ist eine schwere Arbeit, oftmals erlitten die Melker nach Jahrzehnten langer Handarbeit Nervenerkrankungen an den Händen.
Ein sehr viel größeres Problem war allerdings die Lebensmittelsicherheit. Die Wichtigkeit einer problemlosen Reinigung der Anlage wurde nicht direkt bedacht, was sich in massiv erhöhten Bakterien-Zahlen der “Maschinen-Milch” äußerte. Punkt für die Melker. Ein weiterer Faktor war die Sorge der Landwirte um die Gesundheit ihrer Tiere, weil man früher noch glaubte, dass Mastitis durch nicht gemolkene Restmilch im Euter hervorgerufen werde.
Während die neue Technologie in England also nur schleppend angenommen wurde, sah es mit der Adaption in Australien weitaus besser aus, weil es dort schlicht an kompetenten Arbeitern mangelte – eine Situation, die sich dann etwas später auch in England mit dem zweiten Weltkrieg einstellte. Die Kühe mussten ja gemolken werden. Das ist auch heute noch interessant, wenn wir uns überlegen, dass sich der Anteil jener in der Landwirtschaft tätigen Menschen in Deutschland bei ungefähr 2% eingependelt hat. Ohne technische Hilfe wären Landwirte heute erst recht völlig hilflos – auch ohne Krieg.
“Wir würden ja doch noch gerne einen Trockensteher-Bereich anbauen. Aber bei dem Milchpreis ist das nicht drin… Oder gleich verdoppeln, also noch einen Stall ergänzen, wenn wir schon dabei sind. Aber der Platz…” Das waren die Worte des Milchvieh-Landwirtes, den ich gelegentlich besuche. Angenommen, ein solcher Bereich würde zu einer gesetzlichen Vorgabe, wäre das Ende dieses Betriebes nicht unwahrscheinlich. Eine ähnliche gesetzliche Vorgabe sorgte vor einiger Zeit in Süddeutschland für Aufregung. Die verpflichtende Freilaufstall-Haltung hätte dort das Ende vieler kleiner Bio-Milchvieh-Betriebe bedeutet, die ihre Tiere noch anbinden. Die Investitionen für einen völlig neuen Stall wären zu groß gewesen. Die Lösung und Rettung der kleinen Betriebe: eine Ausnahme-Regelung. Wer nur etwas über 20 Tiere hat, muss nicht umbauen. Aktuell ist das von der hessischen Landesregierung angestrebte bundesweite Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern vorerst auf Eis gelegt.
Auch der Bauernverband meldet sich beim Thema Ammoniak öfter zu Wort. Landwirt Bernhard Barkmann hat das in einer Diskussion auf Facebook so formuliert:
Mit der Verschärfung der Ammoniakemission drohen ganz viele Betriebe ausgelöscht zu werden, wenn das ernsthaft durchgesetzt werden soll. Das kann sich kein kleiner [Betrieb] leisten.
Von allen Seiten werden irgendwelche Verschärfungen gefordert – ganz oft von jenen, die die kleinen Familienbetriebe erhalten wollen. Tatsächlich wird das Gegenteil bewirkt und die größeren stehen dann noch mehr am Pranger!
Was die Wissenschaftler der University of Oxford hier beschrieben, ist also auch heute noch aktuell. Sicher, es hat sich vieles verändert. Aber eine Verdopplung der Betriebsgröße ist auch heute noch ein großer Schritt. Ebenso können neue Technologien das Management im Betrieb heute noch genau so stark beeinflussen wie früher.
Investitionen müssen gerne mal über viele Jahre bezahlt werden – plus ungeplante Kosten, wenn bspw. auch noch der Trecker in die Knie geht. Heißt für uns: Politik, Medien und Verbraucher können ruhig höhere Auflagen beim Umwelt- oder Tierschutz fordern. Das ist völlig in Ordnung. Münden solche Forderungen dann in Gesetzen, hat das aber immer auch Auswirkungen auf Betriebsstukturen. Kommt es hart auf hart, überleben meist die größeren. Das hat die Vergangenheit gezeigt.
Sprich: Die Forderungen nach mehr Tierwohl und z.B. einem Verbot der Anbindehaltung bei gleichzeitigem Beklagen des Strukturwandels hin zu größeren Herden (“Massentierhaltung”) verbietet sich. Das geht nicht zusammen, wenn man “kleinbäuerliche” Strukturen wirklich erhalten möchte.
Anmerkungen:
Trockensteher: Milchkühe scheiden zwei Monate vor der Geburt ihres nächsten Kalbes aus der Melkroutine aus und dürfen sich ausruhen, also schlafen, fressen oder auch mal auf die Weide – ganz ohne Termindruck 😉
Mastitis: Die damals genannten Bedenken waren natürlich Quatsch. Das Wissen über die tatsächliche Entstehung von Mastitis”entstand ” aber erst später.
Stallbau: Ich habe da gerade keine Übersicht über die Strukturen, aber ein Umbau zum Freilaufstall lohnt sich erst ab 80 Tieren. Sollte es also Betreibe geben, die über der Ausnahme liegen, sich aber unter der lohnenden Größe befinden, werden die eine anstrengende Zeit haben.
Quelle des Melkstand-Papers: THE DIFFUSION OF THE HERRINGBONE PARLOUR: A CASE STUDY IN THE HISTORY OF AGRICULTURAL TECHNOLOGY, OLIVER GRANT, St. John’s College, University of Oxford
Eurostat Farm Structure Survey 2013:
http://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/7089766/5-26112015-AP-EN.pdf/e18e5577-c2a4-4c70-a8c7-fd758ea7b726
Bildnachweis:
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Danke für diesen interessanten Gesichtspunkt. Gut geschrieben und regt zum Nachdenken an!
Ich stelle es mir irgendwie lustig vor, wenn heute noch alle Landwirte selber melken würden. 🙂 Weckt aber in der Tat auch nostalgische Gefühle, wenn nicht sogar romantische, oder?
Naja, realistisch gesehen nicht. Wie im Text erwähnt, war das Handmelken eine schwere Arbeit. Diese Menschen hatten nicht umsonst dicke Oberarme. Und dann die ganze Zeit gebückt. Bei den heutigen Betriebsgrößen…Ne, lass mal 😉
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