
Dr. Christian Bickert
Dr. Christian Bickert ist stellvertretender Chefredakteur der DLG-Mitteilungen und verantwortet dort seit über 20 Jahren die Marktberichterstattung der DLG-Mitteilungen. Er erstellt eigene Analysen zu den Märkten für Getreide, Ölsaaten, Dünger, Zucker und anderen Produkten. Daneben ist Dr. Bickert praktischer Landwirt und bewirtschaftet einen Ackerbaubetrieb nahe Frankfurt und einen weiteren in Rumänien.
Wir sprachen mit ihm über den Markt für Agrarprodukte und Agrarmarktpolitik.
Was ist das Besondere an Märkten von landwirtschaftlichen Produkten?
Bickert: Der universelle Bedarf: Viele Menschen können auf Flugzeuge verzichten, andere auf Autos oder Fernsehen. Aber niemand kann auf Nahrung und Wasser verzichten. Daher berühren die Agrarmärkte immer die gesamte Menschheit, positiv ausgedrückt: 7,2 Mrd. Verbraucher.
Agrarprodukte sind im Gegensatz zu Öl, Metallen oder manchen Düngerrohstoffen keine endlichen Produkte. Sie wachsen jedes Jahr nach. Daher gibt es feste Zyklen, die von der Produktion abhängen. Endlich sind nur die Produktionsflächen für Ackerkulturen und Grünland. Jedes Jahr bietet eine neue Chance, jedes Jahr kann Überfluss oder Mangel bedeuten. Das gibt es auch in anderen Märkten, wir sehen es gerade beim Rohöl. Aber während bei Bodenschätzen oder Industrieprodukten Überfluss und Mangel ausschließlich von der Tätigkeit und von Entscheidungen des Menschen abhängen, kommt bei den Agrarprodukten zusätzlich der Einfluss des Wetters hinzu.
Agrarprodukte unterliegen – wegen des Wetters – kurzfristigen Schwankungen. Wenn ein Autohersteller eine Fabrik baut, so ist die Autoproduktion auf viele Jahre durch deren Kapazität festgelegt. Die Schwankungen der Produktion richten sich nur nach der Nachfrage. Nicht so bei den Früchten des Feldes. Selbst ein noch so ausgereifter Ackerbau führt zu einer Missernte, wenn die Natur nicht mitspielt und Hitze oder Dürre die Ernte vernichten. Umgekehrt führt optimales Wetter auch bei einer extensiven Arbeitsweise zu großen Erträgen. Die Schwankungen bzw. die Aussichten auf eine Ernte können sich daher binnen einer Woche oft sehr schnell ändern. Manchmal reicht eine Nacht mit tiefem Frost schon aus. Eine so kurzfristige Änderung der Marktlage gibt es bei kaum einen anderen Produkt.
Die Agrarpolitik besteht finanziell betrachtet zum Großteil aus Agrarmarktpolitik – warum sind z.B. Direktbeihilfen/Marktmaßnahmen notwendig? Welche Produktmärkte funktionieren ohne politischen Eingriff?
Bickert: Agrarmarktpolitik in Form der EU-Direktzahlungen bzw. von Marktbeihilfen ist eigentlich nur das Werkzeug. Das Ziel ist eigentlich eine Sozialpolitik. Der Staat oder die EU als Staatengemeinschaft greift ja nicht etwa deshalb in einen Markt ein und vergibt wie zuletzt Nothilfen für Milch und Fleisch, weil die Preise per se niedrig sind. Sie tut das vielmehr, um die Betriebe vor der Pleite zu schützen und damit die Eigentümerfamilien zu unterstützen. Auch ohne Direktzahlungen würde auf den guten Standorten wie in den vergangenen 2000 Jahren Ackerbau betrieben. Aber in Randgebieten wie den Mittelgebirgen würden die Dörfer aussterben. Und in den Gunstregionen hätten die Betriebe nicht 100 oder 200 ha, sondern eine Familie würde von 1000 ha leben müssen. Ob Eingriffe in den Agrarmarkt das richtige Instrument sind oder ob nicht direkte Sozialleistungen besser wären, darüber streitet sich die Wissenschaft. Tatsache ist aber, dass in den vergangenen 20 Jahren die Eingriffe des Staates abgenommen haben.
Fast ganz ohne politische Eingriffe kommen heute die Märkte für Getreide, Ölsaaten und Geflügelfleisch aus. Bei der Milch ist mit dem Ende der Quote ebenfalls ein solcher Zustand erreicht. Eine Beeinflussung des Marktes gibt es nur noch durch den Außenschutz, also Importzölle. Auch der Markt für Schweine ist fast frei von staatlichen Einflüssen. Fast bedeutet, dass es ab und an noch einmal eine staatlich gestützte Bevorratung von Schweinehälften durch Schlachtunternehmen gibt. Aber auch dies nimmt ab. Auch der Zuckermarkt wird ab 2017 keine staatlichen Eingriffe mehr erfahren.
Wo versagt der Markt grundsätzlich, wo musste die Politik schon immer eingreifen?
Bickert: Der Markt versagt grundsätzlich nie. Vielleicht sind die Preise einmal schlecht oder gar desaströs, aber der Markt funktioniert immer. Er findet einen Preis zwischen Angebot und Nachfrage. Gelegentlich sind die Auswirkungen dieses Preises auf die beteiligten Unternehmen katastrophal, gelegentlich führt es aber auch zu rekordhohen Gewinnen. Entscheidend ist, dass Landwirte nicht alles ausreizen und Rücklagen für schlechte Marktphasen bilden. Ein Eingriff der Politik ist nur dann nötig, wenn andere Ziele verfolgt werden sollen. Etwa (wie bereits oben erwähnt) sozialpolitische Ziele oder die Versorgungssicherheit durch die Erhaltung von Produktion bzw. Produktionskapazitäten im eigenen Land. Ein legitimes Ziel der Politik kann auch sein, eine marktbeherrschende Stellung einzelner Anbieter oder Käufer zu begrenzen. Das ist gelegentlich im Lebensmittelhandel zu beobachten (siehe unten).
Derzeit stehen der Milchmarkt und der Markt von Schweinefleisch „unter Druck“ und die Preise sind im Keller. Wie entsteht solch ein Druck?
Bickert: Die Preise fallen, wenn das Angebot größer ist als die Nachfrage. Im ersten Halbjahr 2015 ist die Zahl der Schweine in der EU um 1,8% gestiegen. Diese Angebotsausdehnung kommt nicht von ungefähr und hängt auch nicht am Wetter. Viele Einzelbetriebe haben sich schlicht Chancen ausgerechnet und in neue Kapazitäten investiert. Gleichzeitig ging die Nachfrage zurück, durch die Sanktionen gegen Russland, aber auch durch einen leicht schwächeren Verbrauch in der EU. Anders als Getreide ist das Produkt Schweinefleisch aber nicht lange lagerfähig, so dass die Menge auf den Markt drängt und die Preise so lange sinken lässt, bis zusätzliche Nachfrage entsteht oder es lohnt, Schweinefleisch tiefzukühlen (was eben teuer ist). Außerdem findet ein Verdrängungswettbewerb statt: Denn ein Stall, der einmal aufgegeben wird, kommt in der Regel nicht wieder ins Laufen. Das ist beim Ackerbau anders, denn hier können Landwirte leichter mal ein Jahr lang stilllegen oder auf eine andere Kultur ausweichen.
Wenn man die Orientierung des gesamten Lebensmittelhandels auf Signalpreise von Aldi betrachtet: Ist die freie Preisbildung bei landwirtschaftlichen Produkten eine Illusion?
Bickert: Nein, aber gelegentlich ist die Marktmacht der Anbieter und Käufer ungleich verteilt. Dennoch spiegeln die Einkaufspreise von Aldi ja nur die Situation zwischen Angebot und Nachfrage wider. Aldi hat schon hohe Preiszugeständnisse machen müssen, wenn Milch knapp war und die Molkereien bei anderen Kunden oder im Export bessere Konditionen bekamen. Dass sich viele Einkäufer im LEH an Aldi orientieren ist für sich alleine noch kein Argument. Und dass Aldi die Preise nach Belieben drücken kann, ist auch nur eine vielzitierte Mär. Tatsache ist vielmehr, dass ich keine Molkerei kenne, die nicht die Preise von Aldi lobt. Denn während andere Unternehmen hinterher noch mit Sonderrabatten (“Regalpflegerabatt”, “Unternehmensnachfolgerrabatt”, “Jubiläumsrabatt” etc.) und Extraskonti aufwarten (besonders berüchtigt ist die Tengelmann-Gruppe), hält sich Aldi 1:1 an seine Verträge.
Mit welchen Instrumenten (oder nach welchen Spielregeln) kann ein Agrarmarkt am besten funktionieren?
Bickert: Mit denen möglichst weniger Eingriffe des Staates nach innen. Wenn auch ein schlechter Preis vielen Betrieben weh tut, er bereinigt den Markt um überschüssige Produktionskapazitäten. Daher sollte sich der Staat nicht in die Preise einmischen und Verbände im Übrigen auch nicht. Sache des Staates (und der Verbände) sind die Rahmenbedingungen. Dazu gehört Wettbewerbsgleichheit (etwa zwischen den EU-Ländern) und gleiche Bedingungen im Außenhandel, was über Importzölle oder Importquoten erreicht wird. Hier sollte der Staat nur langfristig und aufgrund grundsätzlicher Überlegungen bzw. Positionsbestimmungen etwas ändern, nicht aber wegen eines aktuellen Preises oder einer aktuellen Marktlage. Das gilt auch für steuerliche Regelungen.
Was können Sie Landwirten als Vermarktungsstrategie anraten?
Bickert: Ich rate dazu, sich finanziell so aufzustellen, dass man als Ackerbauer selbst bestimmen kann, wann man verkauft. Nicht der Termin der Pachtzahlung darf bestimmen, wann ich Weizen verkaufe. Wenn ich weiß, dass ich zu einem bestimmten Termin Geld benötige, dann muss ich rechtzeitig vorher verkaufen oder gar langfristig einen Kontrakt eingehen. Das gilt auch für Schweine oder Geflügel, deren Preis ich entweder an der Börse absichern kann oder aber Kontrakte vor der Einstallung abschließen kann. Für Produkte mit Flaschenhälsen oder schlechter Transportwürdigkeit (Milch, Zuckerrüben) ist das natürlich Theorie. Aber dann müssen Landwirte ihre Interessen bündeln und gemeinsam durchsetzen. Bei den Rübenbauern klappt das ja auch, die Milchbauern müssen da noch viel lernen.
Pingback: [Agrar-Blogger] Marktwirtschaft mit Agrarprodukten – wie geht das?
Sehr geehrter Herr Dr. Bickert,
danke für die klaren Worte! Davon bräuchten wir mehr.
Gerne würde ich das Thema “Interessen bündeln” in Bezug auf die Milchbauern näher diskutieren. Vielleicht können wir ja hierzu unter dem Dach der dlg eine Möglichkeit schaffen?
Mit herzlichen Grüßen aus der östlichen Wetterau,
Andrea Rahn-Farr