Milchkuhhaltung früher und heute

Holstein Friesian

Foto: DLG


Von Sören Schewe

Wenn man sich einen kurzfristigen Überblick über die moderne Tierhaltung verschafft, kommt man kaum um die Feststellung herum, dass heute alles irgendwie mehr wird. Betriebe allgemein werden größer und damit steigen auch die Tierzahlen ebenso wie die Schlachtgewichte und Milchleistungen. Dann ist oft von Massentierhaltung die Rede – als krasser Gegensatz zur „guten alten Zeit“, als man einen Sonntagsbraten noch zu schätzen wusste. Im Kontext der landwirtschaftlichen Geschichte ist das allerdings nicht immer ganz so einfach fest zu machen.

Jude Capper, Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Animal Sciences, hat mit zwei Kollegen dazu mal einen aufschlussreichen Vergleich für den Milchvieh-Sektor der USA zusammengestellt. Dafür zogen sie Daten aus den Jahren 1944 und 2007 heran. Die Ergebnisse sind durchaus spannend. So zählte die US-amerikanische Milchvieh-Herde 1944 ingesamt 25,6 Millionen Tiere, während es 2007 nur noch 9,2 Millionen waren. Diese Verkleinerung der Herde war aber nicht in einer sinkenden Nachfrage begründet, denn während die 25,6 Mio. Kühe 1944 „nur“ 53 Milliarden Liter Milch produzierten, brachten es die 9,2 Mio. Tiere 2007 auf ziemlich sagenhafte 84,2 Milliarden. Auch in Deutschland ist die Zahl der Milchkühe im Zeitraum 1950 bis 2011 von 5,7 Millionen auf 4,2 Millionen gesunken.

Milchkuhbestand in Deutschland bis 2015

Quelle: Statista.com

Die Gründe für die Steigerung der Milchleistung sind vielfältig. Klar, als erstes springt natürlich die Genetik ins Auge, schließlich sind Hochleistungskühe, die während der Zeit der Laktation bis zu 10.000 Liter Milch geben können, das Ergebnis emsiger Zuchtarbeit. 1944 lag die Milchleistung der Kühe über diesen Zeitraum in den USA bei ca. 2000 Litern, um nochmal Capper zu zitieren. Die Werte sind aber auch in Deutschland sehr ähnlich. Wie in folgender Grafik zu sehen ist, brachte eine Kuh um 1900 herum etwas über 2000 Liter Milch, einen deutlichen Anstieg gab es dann erst wieder 1990 mit 4700 Litern pro Laktation. Mittlerweile sind wir bei 7200 Litern angekommen. Gerne werden besonders hoch leistende Tiere mit bis zu 20.000 Litern Milch pro Laktation erwähnt, die sind aber weder der Normalfall noch – aus ernährungsphysiologischer Sicht – besonders erstrebenswert.

Milchleistung je Kuh in Deutschland bis 2013

Quelle: Statista.com

Aber auch die beste Hochleistungskuh mit dem größten Potenzial für hohe Milchleistungen bei guter Fruchtbarkeit kann dieses natürlich nicht ausnutzen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Zum Aspekt der Genetik in der Tierzucht kommt also noch eine fein abgestimmte Fütterung sowie ein Stall, der die Tiere ständig mit frischer Luft versorgt und sie ebenso vor Hitze schützt. Auch der richtige Umgang mit den Tieren ist wichtig, zudem hält in den weiter wachsenden Betrieben auch zunehmend mehr Technik Einzug, die den Landwirt nicht nur bei der Fütterung und weiteren Versorgung unterstützt, sondern auch die Tiere beobachtet und durch die gesammelten Daten Krankheiten oder Brunst-Anzeichen schneller erkennen lässt. Was das alles im Detail bedeutet, habe ich schon anderen Artikeln ausgeführt, die am Ende dieses Artikels verlinkt sind (1), (2) und (3).

Selbstverständlich gab es auch Anstiege in den einzelnen Populationen unserer Nutztiere. Dazu gibt es eine amüsante Geschichte: Vor allem die Pferde, die in den Städten vornehmlich Verkehrsmittel waren, sorgten im New York der 1880er Jahre für reichlich Kopfzerbrechen, sollte das Waren- und Verkehrsaufkommen weiterhin so stark ansteigen wie zu jener Zeit. Das bedeutet in Zahlen: jährlich fielen 136.000 Tonnen Pferdemist an. Eine lineare Fortschreibung einer drei-prozentigen Wachstumsrate des Verkehrsaufkommens hätte früher wohl ergeben, dass New York spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts im Pferdemist erstickt wäre. Immerhin hätte sich der anfallende Mist innerhalb von 24 Jahren verdoppelt. Carl Friedrich Benz hat den New Yorkern mit seinem Benz Motorwagen aus dem Jahre 1886 bestimmt eine Menge Nervosität genommen. Von der Rettung New Yorks vermag ich nicht zu sprechen.

Historiker Thomas Nipperdey hat dazu ein paar Zahlen für Deutschland zusammengestellt. So wuchs die Anzahl der Pferde als wichtigstes Nahverkehrsmittel zwischen 1873 und 1913 von 3,55 auf 4,56 Millionen Tiere. Aber auch bei den Nutztieren in der Landwirtschaft lassen sich im gleichen Zeitraum teils deutliche Anstiege verzeichnen. So gab es 1913 ca. 5 Millionen Rinder mehr als 40 Jahre zuvor. Geradezu überschaubar im Vergleich zum Schweine-Sektor, der sich von 7,12 auf 25,66 Millionen Tiere vergrößerte. (4)

Wir können hier jetzt noch eine Weile so weitermachen mit den Zahlen für Schweine und Geflügel. Allerdings wäre das nur so mittel interessant, schließlich hat sich die Struktur unserer Landwirtschaft nicht nur durch Angebot und Nachfrage ebensolcher Produkte in der Gesellschaft verändert, auch Gesellschaft selbst hat zu den Veränderungen beigetragen. Ebenso die Politik, die durch Gesetze und Auflagen Betriebe zu Veränderungen gezwungen haben, die nicht für jeden landwirtschaftlichen Betrieb bezahlbar waren. Technik, die die Arbeit im landwirtschaftlichen Alltag erleichtert, war – und ist auch heute noch – erst ab einer bestimmten Betriebsgröße überhaupt bezahlbar. Auch dazu hat Nipperdey das eine oder andere Interessante zusammengetragen.

Anmerkungen

1. Natürlich ist der Aspekt der besseren Tierhaltung hier jetzt nur absolut grob umrissen. Wer sich für die Tierwohl-Aspekte moderner Ställe interessiert, kann gerne mal hier vorbeischauen: Die Kuh muss sich wohlfühlen – Bloggen für Kinder.
http://www.scilogs.de/vom-hai-gebissen/die-kuh-muss-sich-wohlfuehlen-erklaert-fuer-kinder/

2. Etwas wissenschaftlicher (mit Referenzen) habe ich dem Thema hier genähert: Über die Betreuung großer Tierbestände
http://www.scilogs.de/vom-hai-gebissen/ueber-die-betreuung-grosser-tierbestaende/

3. Warum man eine Kuh nicht beliebig mit Kraftfutter vollstopfen kann, um möglichst viel Milch zu bekommen, beschrieb ich hier.
http://agrarblogger.de/2015/06/20/was-frisst-eigentlich-eine-milchkuh/

4. Quelle: Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918 Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist
http://www.chbeck.de/Nipperdey-Deutsche-Geschichte-1866-1918-Bd-1-Arbeitswelt-Buergergeist/productview.aspx?product=18810

 

5 Gedanken zu „Milchkuhhaltung früher und heute

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  3. Jan

    Hey Sören

    Danke für den strukturierten und übersichtlichen Beitrag. Ich habe ein paar Daten mit meinem Artikel zum Thema verglichen. Link habe ich dir im Formular mitgeschickt. 😉

    Ich klicke mich jetzt mal durch deine anderen Blogbeiträge…

    Viele Grüße
    Jan

    Antworten
  4. Heike

    Vielen Dank für einen interessanten Beitrag zur Milchkuhhaltung. Ich möchte bald in einem Milchviehbetrieb arbeiten, darum interessiere ich mich für die Möglichkeiten zur Erhaltung einer hohen Milchleistung. Interessant, dass solcher Aspekt wie Genetik in der Tierzucht wichtig ist. Fütterung und Stall sowie einen richtigen Umgang mit Tieren muss man aber auch nicht unterschätzen.

    Antworten
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