Landwirtschaft goes Social Media

Interview mit Sebastian E. Jäger, Masterstudent an der Humboldt-Universität Berlin alias „Lederstrumpf_“ auf Twitter

Sie beobachten seit einigen Jahren die Sozialen Medien und wie die Landwirtschaft darin vorkommt. Was passiert dort gerade?

Als ich mir 2012 einen Account bei Twitter anlegte, hatte ich eigentlich nur das Ziel, mir eine Art Notizbuch anzulegen, in dem ich mir Links und kleinere Gedankenfetzen, vielleicht für später, niederschreiben kann. Schnell habe ich aber entdeckt, dass es hier schon eine Art Landwirtschaft-Community gibt, die untereinander vernetzt ist und sich regelmäßig austauscht. Dieser Austausch war aber noch relativ bescheiden und zurückhaltend. Insbesondere im Diskurs mit Journalisten, Politikern, sowie Tierschutz- und Umweltschutzverbänden. Mit der Zeit hat sich dies aber geändert. Mittlerweile wird sich gerade mit diesen Anspruchsgruppen selbstbewusst ausgetauscht. Zum Diskurs mit dem Verbraucher werde ich noch etwas später näher eingehen. Da gibt es zum Beispiel den AgChatDE . Dies ist eine Art Chat zu einer verabredeten Uhrzeit auf Twitter, zu der unter dem gleichnamigen Hashtag, über ein vorher festgelegtes Thema diskutiert wurde. Später ist dann nach dem amerikanischen Vorbild „Ask The Farmers“ die Plattform Frag-den-Landwirt  hervorgegangen.

Wurden diese Aktivitäten im Netz überhaupt wahrgenommen? Was erreichten diese?

Bei Facebook habe ich keinen Account. Ich habe mir aber, gerade in heißen Diskussionsphasen, natürlich über Links immer wieder einen Überblick über den Stand der Dinge dort verschafft. Der Vorteil von Facebook ist immer gewesen, dass gerade kompliziertere Sachverhalte ausführlicher dargestellt werden konnten. Daher hatten gerade hier viele Diskurse eine größere Reichweite, würde ich jetzt einfach mal behaupten. Letzten Endes war es aber, zum Beispiel bei der Löschung des BUND-Videos und durch den „Bauernaufstand“ erzwungenen Änderungen in der Sendung von Quarks & Co , immer eine Mischung aus Twitter und Facebook, sowie verschiedenen Blogbeiträgen, die zum Erfolg führten.

Dadurch motiviert, hat sich in den letzten Monaten sehr viel getan. Hier den Überblick zu behalten ist schwer geworden. Neue Blogs von Landwirten sprießen aus dem Internet. In den Sozialen Netzen beteiligen sich so viele Landwirte wie noch nie. Durch die Internetvernetzung kam sogar die von Landwirten organisierte Demonstration „Wir machen Euch satt“ zustande. Journalisten suchen mittlerweile via Twitter und Facebook Kontakt zu Landwirten, weil sie neugierig geworden sind und in die Ställe schauen wollen. Was besonders beeindruckt, dass in heißen Diskussionsphasen die Community schnell mobilisierbar ist. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, ob Landwirt, Veterinärmediziner, Imker, Weinbauer, Student, Auszubildender, Agrarjournalist oder anderweitig mit der Landwirtschaft verbunden.

Der früher oft hervorgebrachte Einwand, der manchmal in Agrar-Foren zu lesen war, keine Zeit für das Internet zu haben, hat sich zum Glück nicht durchgesetzt. Öffentlichkeitsarbeit ist ein Betriebszweig geworden, genauso wie Buchhaltung, Tierfütterung, Feldarbeit usw.

Haben Landwirte auch Kontakt zu Verbrauchern über das Internet gefunden?

Die Diskussionen mit Verbrauchern halten sich (noch) in Grenzen. Oft sind Diskussionen mit „negativen Verbrauchern“ zu finden. Ich nenne sie jetzt einfach mal so. Unter negativen Verbrauchern verstehe ich Verbraucher, die meist aus dem Bereich Aktivismus kommen und der real existierenden Landwirtschaft sowieso von vornherein negativ eingestellt sind. Jetzt kann die Frage gestellt werden, ob hier eine Diskussion überhaupt Sinn macht. Ich sage ja, dies muss auch mal sein, sollte aber nicht ausschließlich stattfinden. Gerade US-Landwirte machen das mit großem Erfolg sehr gut vor. Was aber nicht unterschätzt werden darf, die Sozialen Netzwerke sind öffentlich, das heißt der Verbraucher liest mit, auch wenn er sich nicht zu Wort meldet. Auch wenn er nicht alles versteht und nicht jeden Satz liest, bekommt er doch ein Gefühl für den virtuellen Auftritt des Landwirts und kann danach sehr gut für sich entscheiden, ob dieser Auftritt nun gelungen war oder eben nicht.

Warum sind Landwirte/innen auf Social Media interessant?

Der Landwirt ist der perfekte User zum Folgen oder um ihm eine Freundschaftsanfrage zu senden. Der Landwirt hat alles, was der herkömmliche Internetnutzer will: Was zum Erzählen und was zum Zeigen – auch Content genannt. Darüber hinaus ist er von Haus aus authentisch und das kommt an. Ein frisch mit dem Smartphone fotografiertes Kalb hier, ein mächtiger Traktor, der auf dem Acker eine Staubwolke hinter sich herzieht, da. Gerade vor dem Hintergrund der Entfernung breiter Bevölkerungsschichten von der Landwirtschaft, ist der Kontakt zwischen Verbraucher und Landwirt momentan nicht leichter herstellbar. Videoplattformen wie YouTube beinhalten für kreative Landwirte ebenso ein riesiges Potential, wird bedacht, dass die größten YouTuber Deutschlands täglich mehrere Hunderttausend Zuschauer haben.

Welche Chancen hat eine professionelle Online-Kommunikation für einen landwirtschaftlichen Betrieb?

Das Internet ist nichts, was voraussichtlich die nächsten Jahre wieder eingestellt wird. Daher sind die Aktivitäten dort eine Investition in die Zukunft. Irgendwann wird es möglich sein, dass wir unsere Lebensmittel im Internet frisch bestellen können und sofort Übersicht über den kompletten Produktionsprozess mit allen Produzenten haben. Da wäre es doch schön, wenn wir unseren Landwirt schon kennen. Außerdem will der Landwirt doch, dass der Verbraucher seine Produkte kauft. Dazu gehört eben auch, dass man zu seiner Arbeit und seinen Produkten steht und dies auch selbstbewusst vertritt.

Welche Rolle spielen Verbände und Organisationen im Agrarbereich bei diesen Entwicklungen?

Verbände und Organisationen nehme ich in den sozialen Netzwerken überhaupt nicht wahr. Alles was ich oben beschrieben habe, geht auf die Leistungen einzelner Landwirte, die auf sich alleine gestellt und selbstorganisiert etwas auf die Beine gestellt haben, zurück. Landwirtschaftliche Verbände und Organisationen betreiben nach wie vor ihre klassische PR-Arbeit. Diese Art der PR hat aber mit der Online-Kommunikation einzelner Landwirte wenig gemeinsam, da sie nicht die echte Landwirtschaft zeigt, sondern eine Landwirtschaft, die auf Hochglanz poliert ist und nur soweit geht, wie man der Meinung ist, dem Verbraucher zumuten zu können. Letztens zum Beispiel fotografierte ein Tierhalter seine Kadavertonne und veröffentlichte die Bilder mit einer Erklärung bei Facebook, was ich als geniale Idee empfinde. Dafür würde in den Chefetagen der hiesigen Agrarverbände glatt der PR-Supergau ausgerufen werden.

9 Gedanken zu „Landwirtschaft goes Social Media

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  2. Olaf Christen

    Hallo Herr Jäger,

    gute Analyse. Es bleibt die Frage nach der Reichweite und der Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit. Dass das Internet uns erhalten bleiben wird, ist sicherlich richtig. Gleichzeitig ändert sich aber auch das Nutzungsverhalten rasant. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass FB bei den Studierenden deutlich an Stellenwert verloren hat und die direkte Kommunikation über entsprechende Apps massiv zunimmt. Jetzt wo in der Landwirtschaft FB und Twitter Accounts etabliert werden, sind junge Menschen schon wieder einen Schritt weiter. Und wo sind die Meinungsbildern, die dann wieder für politische Prozesse entscheidend sind?

    Es ist und bleibt ein „uphill struggle“.

    OC

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    1. Sebastian E. Jäger (@Lederstrumpf_)

      Hallo Herr Christen,
      Ihre ergänzenden Fragen sind natürlich richtig. Ich denke, man muss die Entwicklung weiter beobachten, Vielleicht sollte die Landwirtschaft ein Institut für Kommunikation, in dem hierzu empirisch gestützte Analysen erarbeitet werden können, schaffen.
      Zu Ihrer letzten Frage: Zur Politik fällt mir jetzt spontan kein Grund ein, welche Rolle diese unmittelbar bei der Online-Kommunikation von Landwirten spielt.
      S.E.Jäger

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    2. Friedrich M.

      Hallo Herr Christen, mag sein, dass die Jugendlichen wieder weitergezogen sind – solange die Medienhäuser jedoch ihre Artikel oder Sendungen auf Facebook ankündigen, wird dieser Rückkanal in den Redaktionen als „offener Leserbrief“ genug Beachtung finden. Je mehr Resonanz durch die Nutzer, desto mehr in den Redaktionen.

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  3. ina

    Mein Eindruck zu den Aktivitäten der wenaffinen Landwirte ist der einer sozialen Blase: man verkehrt meist unter sich oder in seinen Kreisen. Es ist nur eine Hand voll Landwirte, die Politikern, Journalisten oder NGOs die Stirn bieten und daher schnell „verbrennen“. Ich vermisse die Solidarität der 300.000 Berufskollegen und der Mitarbeiter aus dem Vor- und nachgelagerten Bereich.

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    1. Sebastian E. Jäger (@Lederstrumpf_)

      Hallo ina,
      das mit der sozialen Blase gilt auch für ander Nutzergruppen im Netz. Das echte Leben spielt sich natürlich nach wie vor vor der Haustür ab, aber das Internet und die sozialen Netzwerke sind eine Möglichkeit einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit online abzuhalten. Natürlich ist dort auch jeder Landwirt seines eigenen Glückes Schmied.
      S.E.Jäger

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  4. barbara

    Tolles Interview. Ich kann nur bestätigen, dass sich in den letzten Jahren bei den Landwirten sehr viel im Social Media Bereich getan hat. Als ich 2011 mit über_Land anfing, konnte man die aktiven Landwirte im Web 2.0 noch zählen. Bis heute hat sich die Zahl der aktiven Bauern im Netz stark erhöht. Allerdings bleiben die Landwirte gerne unter sich, suchen zuwenig den Kontakt zu Städtern, die schlussendlich aber ihre Produkte kaufen. Das Web wird nicht als verbindende Brücke eingesetzt. Ich hoffe, das kommt noch.

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