Genervte Regenwürmer? Zwei Analysen

Ein Gastbeitrag von Sören Schewe, den wir gebeten hatten, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des im Januar 2015 erschienenen DLG-Nachhaltigkeitsberichts und des BUND-Bodenatlasses zu analysieren.

(Originalbeitrag unter http://www.scilogs.de/vom-hai-gebissen/genervte-regenwuermer-zwei-analysen/)

Wie geht es eigentlich unserem Boden? Und wie steht es um die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen? Gleich zwei ausführlichere Berichte unternahmen zu Beginn des Jahres den Versuch einer Bestandsaufnahme.

Vor einigen Wochen erschien der Bodenatlas des BUND(1). Dank zweier Publikationen in Deutsch und Englisch fand er auch im Englisch-sprachigen Teil meiner Twitter-Timeline einige Beachtung. Im gleichen Zeitraum erschien der DLG-Nachhaltigkeitsbericht. Zeit für eine genauere Betrachtung. Tatsächlich finden sich in beiden Berichten auch einige Gemeinsamkeiten.

Jede Straße und jedes Haus bedeuten auch weniger Fläche für die Natur, für natürlichen Boden und damit auch für die Landwirtschaft. Flächenversiegelung heißt das dann offiziell – eine heikle Thematik, die in beiden Berichten Erwähnung findet.

Flächenverbrauch

So lesen wir im DLG Nachhaltigkeitsbericht über die kontinuierliche Abnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Durch die Zunahme an Siedlungs- und Verkehrsflächen werden rund 74 ha Boden pro Tag versiegelt. Ginge es nach dem Willen der Bundesregierung, dann soll dieser Wert ab 2020 nur noch 30 ha betragen. Im Bodenatlas ist in diesem Zusammenhang von 77 ha täglich versiegelter Fläche die Rede. Das angestrebte Ziel der Bundesregierung wird von den Autoren angezweifelt.

Neben der Versiegelung sind auch die Probleme erodierender und verdichteter Böden in beiden Berichten ein Thema.

  • Erosion
    Darunter versteht man in gewisser Weise ein Verschwinden des Bodens. Dazu kann zum Beispiel Wind beitragen, indem er die oberste Schicht des Bodens trocknet und dann abträgt. Auch Wasser kann ein Problem werden, wenn Partikel weggeschwemmt werden. Gut, der Boden ist dann nicht weg, nur woanders. Aber an einer Hauswand oder in einem Fluss ist er lediglich Dreck und hilft niemandem.

Im DLG Nachhaltigkeitsbericht erfahren wir, dass etwa 17% der deutschen Landwirtschaftsfläche als besonders erosionsgefährdet gelten. Allerdings sind Landwirte gesetzlich zu einer standort- und witterungs-angepassten Bearbeitung des Bodens verpflichtet. Darunter versteht man zum Beispiel einen Zwischenfruchtanbau oder auch eine pfluglose Bodenbearbeitung, um die Schichten und Lebewesen im Boden möglichst wenig zu stören und Wasser im Boden zu halten.

  • Verdichtung
    Lockerer Boden auf Wanderschaft ist also nicht erwünscht. Gewissermaßen das Gegenteil – also zu dichter Boden – ist ebenfalls problematisch. Die Gefahr besteht, wenn schwere Landmaschinen über den Boden fahren und diesen zusammendrücken.

Die Folge der Verdichtung ist das Verschwinden der Hohlräume im Boden. Der Lufttransport wird gestört, aber auch Wasser kann nicht ungehindert seiner Wege gehen und daher auch nicht versickern.

Im DLG-Bericht wird dazu das Umweltbundesamt erwähnt. Nach dessen Schätzungen gibt es auf etwa der Hälfte deutscher Ackerflächen diesbezüglich Probleme.

Biodiversität

Auch die Biodiversität ist in der Landwirtschaft ein großes Thema. Ganz grob versteht man darunter die Vielfalt der Pflanzen und Tiere, die sich in den ländlichen Gegenden tummeln. Letztes Jahr schrieb ich dazu einen Artikel:

„Ende der 1980er Jahre wurden sogenannte agro-environmental schemes in der EU etabliert, um der biologischen Vielfalt wieder etwas auf die Sprünge zu helfen. Bestandteile dieser AES sind der verringerte Einsatz von Pestiziden, Crop Rotation (also der Wechsel von angebauten Pflanzen auf den Feldern), der Erhalt der vorhandenen Landschaft, dauerhafte Ackerrandstreifen und der Anbau von mindestens 15% Hülsenfrüchtlern.“

Aber auch unterhalb der Grasnarbe kommen wir um einen Blick auf die lebenden Organismen nicht herum – womit wir dann auch wieder bei Erosion und Verdichtung wären. Um zu vermeiden, dass den Regenwürmern da unten die Luft ausgeht oder der
Lebensraum verschwindet, sind eine pfluglose Bodenbearbeitung oder die Verringerung des Reifendrucks der Landmaschinen gegen Verdichtung sehr wichtig – auch, wenn diese Bestrebungen laut Bodenatlas bei weitem nicht ausreichen.

Stickstoff

Womit wir dann bei einem weiteren Streitpunkt in und um den Boden angekommen wären: Stickstoff. Der ist grundsätzlich erstmal sehr wichtig als Nährstoff für Pflanzen. Das bedeutet aber auch, das er dem Boden durch Ackerbau entzogen wird und irgendwie wieder rein muss. Sonst drohen Ertragsverluste. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: die Verwendung organischen Düngers – also Scheiße – oder Kunstdünger. Als weiterer Weg wäre hier noch der Anbau von Hülsenfrüchtlern zu nennen. Durch ihre Symbiose mit Bakterien an den Wurzeln sind sie in der Lage Stickstoff aus der Luft zu binden.

Aber zurück zum Dünger: egal, wie genau Landwirte bei der Düngung vorgehen, ein Teil dessen geht immer auf Reisen – zum Beispiel durch Auswaschungen. Dann landet Dünger in Flüssen und beeinflusst das dortige Ökosystem. Eutrophierung heißt das dann, wenn diese Nährstoffe im Wasser das Algenwachstum fördern. Will man natürlich nicht. Im DLG-Bericht lernen wir noch, dass das Ausmaß der Auswaschungen von der Art des Bodens und dem Witterungsverlauf beeinflusst wird. So seien leichte und flachgründige Böden bei hohen Niederschlägen stärker von Auswaschungen betroffen als lehmige und teifgründige Böden.

Agrarhandel

Weitaus deutlicher auseinander gehen die Meinungen der beiden Berichte allerdings beim Thema des weltweiten Agrarhandels. Im DLG-Nachhaltigkeitsbericht ist die Sache mit dem Leitspruch „Trade instead of aid“ klar. Importe landwirtschaftlicher Produkte seien deren Exporte und brächten damit Geld in diese Länder, das dann wiederum in den Aufbau der dortigen Strukturen investiert werden kann.

Im Bodenatlas liest sich das etwas anders. Dort ist vom Land-Fuß-Abdruck die Rede – damit lässt sich theoretisch errechnen, wie viel Fläche unser Lebensstil erfordert. Das Motto “Handeln statt Spenden” ist in den Augen der Autoren nichts anderes als Landverbrauch in anderen Ländern für unsere Bedürfnisse. Europa findet hier als jener Kontinent Erwähnung, der am stärksten von Land außerhalb seiner Grenzen abhängig ist. Darunter befinden sich auch Länder wie China, Russland, die Mongolei oder Brasilien. Der Vorwurf liegt in der Tatsache, dass einige dieser Länder eben kaum ihre eigene Bevölkerung versorgen können.

   Ausblick

Sowohl der Bodenatlas als auch der DLG-Nachhaltigkeitsbericht sind mit zusammen gut 140 Seiten sehr ausführlich, weshalb dieser kleine Artikel auch nur einen Überblick zur Thematik des Bodens geben kann und soll. Weitere Artikel werden folgen, um dann einzelne Aspekte genauer – gerade auch kritisch – zu betrachten. Einige Beispiele:

  • Pflügen bzw. die pfluglose Bodenbearbeitung
  • viel diskutiert ist auch das Potential von Weiden und Wiederkäuern
  • und – ganz klar – Dünger
  • auch nicht zu verachten: das Potential unserer Städte für den Gemüseanbau bspw.
  • Auch das Thema Agrarhandel verlangt eine genauere Betrachtung.

Persönlich finde ich den Bereich des grazing management sehr spannend und arbeite mich gerade etwas ein – nicht ohne Falltüren für jemanden, der in diesem Bereich neu ist, womit ich nicht die Wiederkäuer meine. Wenn Ihr da also Hinweise auf grundlegende Literatur habt, sagt Bescheid.

Anmerkung

(1) Der Bodenatlas war ein Kooperationsprojekt. Neben dem BUND waren noch die Heinrich Böll-Stiftung, das Institute for Advanced Sustainability Studies und Le Monde diplomatique beteiligt.

Disclaimer:

Ich habe diesen Artikel ursprünglich nicht für mein Blog geschrieben, sondern im Auftrag der DLG e.V. gegen Honorar. Inhaltliche Vorgaben gab es keine, außer den beiden Reports natürlich, die ich aus reiner Laune vermutlich nicht gelesen hätte

(Sören Schewe)

Quellen

4 Gedanken zu „Genervte Regenwürmer? Zwei Analysen

  1. Pingback: [Agrar-Blogger] Genervte Regenwürmer? Zwei Analysen | netzlesen.de

  2. Brigitta Blume

    Ich suche schon seit Wochen diese uralte Diplomarbeit oder Diss, in der gemessen wurde, das Regenwürmer vom Pflügen ein Schleudertrauma bekommen. Die ist Dir nicht zufällig unterwegs begegnet?

    Antworten
  3. Pingback: Pfluglos über den Acker | Die Agrar-Blogger

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