Übersinnlicher Rindermist und teleplastische Zipfel-Taschentücher

Die Geister, die ich rief.

Die Geister, die ich rief.

Wer sich privat mit esoterischem Geschwurbel beschäftigt, an Geistheilung durch magische Schlumpf-Figuren glaubt, mit Wünschel-Rute im Schlafzimmer herumfuchtelt und das Bett im strahlenfreien Winkel postiert oder Fernheilung durch Reiki-Meister erhofft, soll das tun. Der Verkauf von Vollmond-Seife, Räucherstäbchen, indischer Guru-Musik und sonstigem spirituellen Schabernack ernährt mittlerweile eine Branche mit einem übersinnlichen Jahresumsatz von 25 Milliarden Euro. Tendenz steigend. Selbst große Unternehmen pflegen ein skurriles Netzwerk von Sinn-Vermittelern.

So gibt es Personalabteilungen, die neue Mitarbeiter über graphologische Gutachten auswählen und die Entwicklung von Führungskräften über Schamanen vorantreiben. Das geht am besten mit ganzheitlichen Konzepten, die in speziellen Kreativitätsseminaren gelernt werden. Manager stellen sich im Kreis auf, greifen zum feuchten Händchen des Nachbarn und rufen im Chor:

„Es beginnt ein kreativer Tag und ich fühle mich gut. Just great.”

Gestresste Führungskräfte, die am Burnout-Syndrom leiden, ergehen sich in albernen Rollenspielen oder ruinieren ihr schwarz-graues Outfit durch unkoordiniertes Gefummel mit Knetmasse. Da fehlt dann nur noch das kollektive Einüben der Hechelatmung zwecks Unterstützung kreativer Presswehen in holistischen Trauma-Bewältigungs-Workshops.

Aber warum beschäftigen sich wissenschaftliche Institutionen mit so einem Mumpitz – finanziert mit öffentlichen Mitteln? An einer hessischen Universität mit dem „Fachgebiet biologisch-dynamische Landwirtschaft“ prägt der ideologische Überbau des Anthroposophen Rudolf Steiner den Arbeitsalltag der Forscher.

Rindermist mit astralischen Kräften

Auf Grundlage seiner Lehren bemüht man sich, die landwirtschaftliche Praxis mit dem zu „verbinden, was für unsere normalen fünf Sinne verborgen ist“. Frei nach dem immer gültigen Motto: Wenn ich die Nichtexistenz einer Erscheinung oder übersinnlichen Kraft nicht beweisen kann, ist es der Beweis für die Existenz. Nach dieser Beweiskette schreibe ich auch den Schlumpf-Figuren in Überraschungseiern heilende Kräfte zu – wissenschaftstheoretisch ist diese Beweisformel ausgemachter Schwachsinn.

Entsprechend sind auch die Lehrinhalte und Forschungsprojekte in Hessen ausgewählt worden. Sie widmen sich dem „Unsichtbaren“: Es geht um die „Mondrhythmen im Pflanzenwachstum“, eine Doktorandin forscht über Lebens- und Ätherkräfte und ergötzt sich an den übersinnlichen Methoden eines gewissen Herrn Dorian Schmidt. Über diesen anthroposophischen Methodenlehrer erfährt man in einem Essay zum Thema „Biogas“ in der Zeitschrift „Lebendige Erde“, er habe „mit übersinnlichen Erkenntnismethoden“ gezeigt, „dass die astralischen Kräfte des Rindermistes bei der Vergärung aus dem Mist heraus getrieben werden.“ Vergärung zieht immer, selbst beim Schwänzen des Chemie-Unterrichts.

Zur „biologisch-dynamischen Landwirtschaft“ nach Steiner zählt auch das Vergraben von Kuhhörnern im Acker bei Vollmond. Die obskuren Vorstellungen für die Agrarwirtschaft sind eingebettet in ein nicht minder sonderliches Weltbild. Danach vollzog sich die Menschheitsentwicklung nacheinander auf sieben „Planeten“. Laut Steiner gab es keine Evolution – also Kreationismus in Frühform. Vielmehr bildeten sich irgendwann „Lemurier“ und „Atlantier“ heraus, und aus letztgenannten die „Arier“, zu denen der selbst ernannte Meister sich selbst und die kultivierten Westeuropäer zählte – nicht aber die „verkümmerten Menschen“, deren Nachkommen heute noch als so genannte wilde Völker gewisse Teile der Welt bewohnen. Was halten eigentlich die Demeter-Betriebe von diesem Teil der Steiner-Ideologie?

Thomas Mann und das teleplastische Zipfel-Taschentuch

Auch der aufgeklärte Großschriftsteller Thomas Mann stand im Bann okkultistischer Lehren und war beeindruckt von der „teleplastischen Morphogenese“. Er besuchte in den 20er Jahren über einen Zeitraum von vier Jahren regelmäßig die Seancen des Geisterbarons Schrenck-Notzing in München und hat sich bis zu seinem Lebensende nie von diesem Spiritismus-Zirkus distanziert, so Germanistik-Professor Manfred Dierks auf einer Veranstaltung der Thomas Mann-Gesellschaft in Bonn

„Im Rotlicht des Sitzungssalons schwebte ein Leuchtring auf und ab. Immerhin ohne jede Menschenhilfe. Eine Tischglocke einsam und allein auf einem Tischchen läutete sich selbst. Und eine frisch erschaffene Materie, ein Plasma, stieg vom Körper des Mediums auf und erreichte als Nebel die Zimmerdecke. Dann gab es eine Verzögerung. Medium Willi hatte sich jetzt eine anspruchsvollere Leistung vorgenommen und nahm dazu einen längeren Anlauf. Es war eher eine Geburt. Etwas wollte heraus. Willi stieß seinen Körper hin und her, presste und stöhnte. Lustvoll erlitt er den Gebär- und Geschlechtsakt in einem. Thomas Mann hatte sogar von Samenergüssen Willis gehört. Aber was dabei herauskam, als es schließlich geschah, war es denn die Qualen wert“, fragt sich Dierks, Autor des Buches „Thomas Manns Geisterbaron: Leben und Werk des Freiherrn Albert von Schrenck-Notzing“.

In der Regel entsprang der Materialisation schlicht weg ein Taschentuch. Mehr passierte nicht. Den Höhepunkt erreichten die spiritistischen Sitzungen, wenn das Objekt mit Zipfelchen in der Luft schwebte und das Auditorium von der wissenschaftlichen Beweisführung der teleplastischen Morphogenese überzeugt wurde. An der okkulten Echtheit der Phänomene wollte Thomas Mann 1923 nicht zweifeln, obwohl fast alle Star-Medien, die im Münchner Salon auftraten, als Betrüger entlarvt und juristisch belangt wurden:

„Ich bin überzeugt, dass eine spätere Wissenschaft es denjenigen Dank wissen wird, die in unseren Tagen den Mut oder die Unbefangenheit hatten, ihren Sinnen zu trauen“.

Das verdient eine agrarwissenschaftliche Vorlesung in Hessen! Titel: Vom Wunder der teleplastischen Kartoffelernte. Wie wär’s?

Kommentar verfassen